14 06
Luch2 de
Noch durch die geschlossenen Augenlider hindurch nimmt Luch die Helligkeit wahr, ist mit einem Mal wach, rappelt sich auf. Tappt wie ein Schlafwandler in dem feuchtkalten, halbdunklen Haus umher – nur raus hier, in die Wärme, ein bißchen Luft schnappen. Das gleißende Licht haut ihn fast um. Er schwankt, schließt die Augen, holt tief Atem, und hat auch schon den Duft in der Nase, der von den Ställen herüber weht. Da weiß er wieder, wo er ist. Hatte er es vergessen? Und geht den gewohnten Weg zur Hauptstraße. Da ist es, als sähe er all die bekannten Dinge neu, den Dung, den Mist, die aufgerissenen Silageballen, den Traktor, all die Frachtstücke des Lebens, die der Nachbar in die Gegend hinein versenkt, wo sie malerisch verrotten, kaputte Möbel, rostige Maschinenteile, Kloschüsseln, aufgeplatzte Matratzen, Taue, die Weite und die Kargheit der Landschaft diesseits und jenseits der schmalen, hügeligen Asphaltstraße und die in Farben wogende See ausgebleichten Moorgrases, rostbraun verfärbter Farnreste, leuchtend weißgelber Büschel, Binsen und Halme, die grellgrünen Inseln frischen Grases darin, den violetten Schimmer der grauen Felsen, deren sanfte runde Buckel sich wie die versteinerten Wellen eines unterirdischen Meeres aus den Moosen und Flechten heben. Er schnuppert in die Luft, wittert Richtung Norden, wo das tiefe Brummen des Windes herkommt, aber auch ein dröhnendes Getrappel, das lauter und lauter wird. Er schaut sich um. Ein wilder Zug stampft heran. In ihrer schwerfälligen, schaukelnden Gangart quälen Kühe sich die Steigung herauf, über die ganze Straßenbreite hin, trudeln wie Schlachtschiffe in einer zu engen Fahrrinne, gehetzt, geschoben von dem Auto, das hinterdrein fährt. Sie kommen nur langsam vorwärts mit diesem unförmigen Leib und dem viel zu großen Euter, das weit unter ihrem Bauch hervorsteht und über die Knie hinabbaumelt, eigentlich nur, indem sie die Hinterbeine weit abspreizen beim Laufen und sie um das Euter herumschleudern – ein Trick, aus schierer Verzweiflung.
Der Zug kommt ins Stocken, irgendein Hindernis verengt die Straße, dort, wo auch Luch steht. Die Tiere drängen blind nach allen Seiten auseinander, scheuen, rammeln aufgeregt gegeneinander. In diesem chaotischen Getöse breitet er instinktiv die Arme aus, als wolle er sie aufhalten, zusammenfassen irgendwie und wird selbst überrannt. Er sieht ein riesiges Euter über sich hängen, dann tritt er weg.
Ein schwabbeliger Sack von fleischigem, gelbgefleckten Altrosa beginnt sich zu füllen, dehnt sich, wird dicker und dicker, beginnt zu drücken, schmerzt. Ein Stocken, etwas, das nicht abfließen kann, ein Druck, der von dieser einen Stelle aus in alle Glieder fährt, sie lähmt. Der Sack ist zum Zerreißen gespannt, da kommt der Ruck, ein Schütteln, der ganze Körper wird angehoben, ein Schnappen, Klicken, an ein Gestänge angehängt, herangefahren. Harte Sohlen klappern auf glattem Boden, es scheppert. Der Druck unterm Bauch beginnt sich aufzulösen, der Schmerz fließt ab, ganz langsam.
Komm jetzt, wir gehen.
Wohin?
Weg von hier. Ist doch kein Leben das.
Wie soll’n wir denn? Sind auch nicht mehr, was wir mal waren.
Eben.
Was. Auch wenn wir‘s bis auf die Straße schafften, dann haben sie uns ja gleich.
Na und, Mann, Memme. Siehst du denn nicht, was hier los ist? Ich will das nicht mehr.
Hier bin ich wenigstens noch zu was nütze und hab meine Ruhe.
Das ist also aus uns geworden, degenerierte Schwachköpfe, kaum noch imstande zu laufen, in Verschlägen dahinvegetierende, ertragbringende, gutfunktionierende Maschinen, die sich melken lassen, Mann, Leute! Ganz vergessen? Sind wir nicht einst frei herumgesprungen und haben unser Ding gemacht? Sind mit der ganzen Horde rumgezogen und haben uns die besten Plätze ausgesucht? Ihr freßt lieber die eigne Scheiße und laßt euch wegsperren – Hauptsache satt oder was.
Jaja, früher, da waren die Wiesen noch grün, gelle, die Zeiten ändern sich mei Gut‘ster.
Ganz vergessen oder schon verkalkt? Ich geh. Aber ich sage euch: Je mehr sie aus euch herauspressen, umso weniger wird es am Ende wert sein!
He, he! He, bleib doch… Mann… warte mal… du… vielleicht…. duh…uh… uh…
Benommen klaubt Luch seinen Hut aus der Hecke, der ihm vom Kopf gefallen war. Es ist niemand mehr auf der Straße. Sie liegt jetzt schnurgerade vor ihm, leer, endlos. Er setzt sich an den Rand, streckt alle Viere von sich. Nach einer Weile hört er Motorengeräusch. Ein Auto nähert sich. Er hebt die Hand. Es hält. Es ist Conor, er guckt.
He, wie geht‘s‘n so?
Soll ich dich‘n Stück mitnehmen?
Wohin fährst du?
Nur‘n bißchen rum.
Na dann.
Ist auch recht.
Fortsetzung folgt….
06 02
Studio by the sea
Es braut sich alles dort drüben zusammen, wo die zerzausten Pinien stehn. Sie schaukeln mit ihren Wipfeln, schwanken ein wenig, als hätten sie die ganze Masse des Himmels zu tragen. Ein paar Windstöße genügen, die Wolkendecke reißt auf, auseinander, ballt sich wieder zusammen, wird hinweggefegt. Ströme von Wasser fallen heraus und herunter, werden in die Tiefe gedrückt, über die Wege geschüttet, querfeldein getrieben über Wiesen, bis auch die letzten Rinnen, Gräben überfließen. Über den Torf, über das Moos, über die Flechten ergießt es sich, fließt um die verkrüppelten Bäumchen herum, über die schorfigen Steinbänke hin, wo die Gischt turmhoch aufschäumt und in regentropfenschwere Perlenschnüre zerspringt. Undurchdringliche, bleierne Vorhänge webt der Wind, um sie über Land zu schleifen, wobei sie zerstäuben, sich in Nebel auflösen. Konturen verwischen, Himmel und Erde vermischen sich, lassen auch den letzten, ins Meer ragenden Felsen verschwinden. Und du hängst unbefestigt mittendrin, Flüsse und Flüßchen rinnen, schwimmen um die breiten Ginsterbüsche herum, die über die Landschaft verstreut da hocken, unverrückbar wie Glucken, die auf ihren Eiern brüten. Wie riesige Schatten ragen die Pferde hinter ihnen, zu Skulpturen erstarrt, auf, dicht gedrängt sich an ihr nur halbhohes aber dichtes Stacheldach. Wohin sollten sie fliehn? Sie lassen’s einfach niederprasseln, halten ihren Rücken hin. Sie haben alles erlebt, es ist alles passiert, was soll ihnen geschehn?
Trüb ist das, wie in nem Einweckglas. Wann war das noch, als es hieß, der irische Regen würde, ohne die rechte Energie, meistens nur sanft so vor sich hin nieseln? Das hier ist etwas anderes. Das ist die Gesamtheit von Nässe, eine Art tosende Stille. Der entrinnst du nicht.
Aufgebläht knattern leere Müllbeutel vorbei, führerlose Flugobjekte, zerfetzt, zerschlissen, verrückte Vögel, die, mit den Flügeln schlagend gegen Zäune flattern und wild zappelnd an ihnen hängenbleiben.
Das Dröhnen der Windes ist so laut, als rauschte das Meer direkt ums Haus und in dies alte Gehäuse hinein, das sich Cottage nennt.
Es klickklackt, klappert, summt und brummt, es faucht durch’n Schornstein, pfeift durch Ritzen, Schlitze, flötet in Schlüssellöcher, trötet in Röhren, streicht übern Fußboden. Pfosten knacken, Fensterrahmen schlackern, jeden einzelnen Tropfen hörst du klopfen, aufs Fensterbrett hopsen, wie Glasperlen klingen, die gegen Fensterscheiben springen, auf die Dachrinne trippeln, wie ein Glockenspiel klingeln, herunter tröppeln, klick klack dackdack. Du döst dich hellwach. Tag und Nacht sind in eins verschwommen, zu regengleichen Schemen verkommen, Zeit und Raum außer Kraft. In einem Meer von Geräuschen schwimmst du mittendrin. Fensterscheiben klirren, Schindeln poltern vom Dach, krachen auf, du wirst wach ach! So? Doch! Es regnet ja immer noch. Tropfen klatschen in Massen auf Flächen, plattern auf Dächer, an Wände, fließen in Bächen ab, plätschern in Pfützen platsch! Du hörst sie aufs Geländer pochen. Wie lange bist du schon hier, Stunden? Tage? Wochen?
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Da haben sie alles mit ihnen gemacht, die Russen, und die Kühe steckten die Köpfe zum Fenster herein, und da war einer der hat ihnen das Euter abgeschnitten, und da haben sie gerissen die Kuh und alle Frauen. Wird auch kein Wasser mehr sein und wird eine neue Erde sein, und die alte Erde wird vergehn.
Da nahm der Mann das Kind und ging auch fort. Wohin aber sollte er denn gehen? Es war doch nichts mehr da. Die Häuser zerstört, zerschossen, die Autos quer auf der Straße. Die Pferde lagen mit aufgeschlitztem Leib am Straßenrand. Sie haben ein süßliches Fleisch, gewiß. Trotzdem nahm er sich kein Stück davon. Aber was sollte aus dem Kind werden? Der Vater macht es nicht mehr lang. Der Hunger hat ihn aufgefressen. Er legt sich einfach hin und sagt, ich sterbe jetzt. Nimm das Kind, Schwester, du hast doch schon drei, wirst wohl auch das vierte noch mit durchbringen.
Fortsetzung folgt…..